Tagebuch Azoren Teil VI

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Danke wieder an Steffi fürs Beisteuern ihrer Fotos!

1.7.

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Neues Monteiro´s Stormpetrelküken
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Inseleintopf: Kichererbsen, Quinoa, wilder Sellerie, wilde Möhrenwurzel + -grün

Mittlerweile 17 Monteiro Sturmschwalbenküken, nehme ein paar Blut ab für die stabile Isotopenuntersuchung zum Nahrungsspektrum der Eidechsen. Sehr bewölkt, immer wieder nieselt es, sehr schwül. Gehen einen großen Rockpool erkunden, da ansonsten zu starker Wellengang. Viele Einsiedlerkrebse, Krabben, Babyfischen und Garnelen, die ein bisschen unsere Füße pflegen, was kitzelt. Zwei richtig schöne, sehr große Seesterne, einer schwarz-weiß und einer knallrot. Ich scheine Quinoa (24 Stunden eingeweicht) gut zu vertragen! Leider habe ich nachts eine Reaktion am Fuß, wahrscheinlich auf zuviel Kakao, denn wir hatten wieder Pfannkuchen gemacht.


2.7.

DSC_0512DSC_0511Ein totes Küken im Nest, einzelne erwachsene tote Seeschwalben nahe des Bootsanlegers. Ein Grund zur Besorgnis? Zwei Eidechsen sind bei der Nestkontrolle sehr zutraulich und lassen sich von uns mit Obst aus der Hand füttern, total süß! Erkunden die Felsen und Rockpools auf der Vorderseite der Insel, pflücke essbare Algen. Nach dem Abendessen nutzen wir die Ebbe und versuchen, ein Stück um die Insel zu klettern, zu Füßen der Steilhänge. Die großen Basaltbrocken lassen sich sehr gut beklettern, alles sehr solide, nur einmal gerät einer ins Rollen und klemmt Steffis Fuß ein! Bevor ich bei ihr bin, hat sie sich zum Glück wieder befreien können ohne größeren Schaden. Mehrfach flattern Felsentauben aus ihren Höhlen auf und erschrecken uns zu Tode. Von oben hatte ich heute eine kleine Höhle entdeckt, aber wahrscheinlich wird man das letzte Stück schwimmen müssen, und jetzt wird es schnell dunkel, wir kehren besser um. Es ist fast schon ganz dunkel, als wir wieder vorne und oben ankommen und sind ziemlich durchgeschwitzt. Mein Fuß brennt fürchterlich, ist zwischen zwei Zehen richtig eingerissen, aber ich will mir von so etwas nicht den Spaß am Erkunden verderben lassen. Diese Nacht sind die Corys extrem laut, was mich mehrfach aus dem Schlaf reißt, trotz Ohrstöpsel.


3.7.

DSC_9278DSC_9334Wöchentliche Kontrolle sämtlicher Monteiro Sturmschwalbennester der Insel, dann fangen wir einen dicken Batzen Eidechsen am Untersuchungspunkt hinterm Haus und ich nehme Blutproben für die Ernährungsstudie. Danach klettern wir nochmal an der Küste entlang bei Ebbe und erreichen diesmal die hinteren Rockpools. Bei Ebbe ist der Wasserstand allerdings zu niedrig, um in die Höhle gelangen zu können, außerdem sind die Wellen noch sehr hoch. Stattdessen erkunden wir die schönen Rockpools mit dem klaren Wasser. Ein Portugiese kommt in seinem Bootchen angefahren und versucht mit uns Kontakt aufzunehmen, freut sich wohl über die beiden blonden Bikinischönheiten. Fuß noch unangenehm aber Entzündung ist wieder abgeklungen, obwohl ich sogar etwas Zitrone in meinem Wasser hatte.


4.7.

DSC_9327Wind hat gedreht, deswegen will ich die Schnorchelgründe auf der Nordseite der Insel erkunden, wo jetzt wenige Wellen sind, und wo das Wasser von oben immer so schön aussieht. Will an der Front der Insel beginnen und dann um die Ecke schwimmen, mit der Unterwasserkamera dabei. Hier vorne sind die Wellen allerdings etwas höher, vor allem, je näher man an die Ecke kommt, dort brechen sie sich stark aufgrund vieler Felsen.

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Knoblauch-Algen-Butter mit etwas Zitronensaft und Olivenöl zu unseren Lagerfeuerfolienkartoffeln

Weiter raus zu schwimmen traue ich mich allerdings nicht, der Anblick des weiten offenen Meeres, wenn man den Bereich zwischen Praia und Graciosa verlässt, schüchtert mich extrem ein. Was ist, wenn hier Strömungen herrschen? Wieder male ich mir die schrecklichsten Dinge aus, verfalle in eine leichte Panik, die mich hektisch werden lässt, sodass ich wieder viel Wasser zu schlucken kriege. Nur das Konzentrieren auf die Unterwasserwelt und das Fotos machen helfen mir, mich etwas zu fokussieren. Doch auf der Ecke halte ich es dann einfach nicht aus und drehe lieber wieder um. Ich werde wieder zu hektisch, weil die Wellen mich immer so stark zurückziehen und ich das Gefühl habe, nicht genug Kraft zu haben, um vorwärts zu kommen und ständig Wasser in den Schnorchel bekomme und beruhige mich erst, als die Einstiegsstelle in Sicht kommt. Ich gehe dann zu Fuß nochmal durch das Seeschwalbengebiet auf die Nordseite und gehe dann dort direkt ins Wasser. Hier sehe ich, dass ich mich eigentlich nur noch ein paar Meter hätte weiter trauen müssen, verdammt! Es ist sehr schön, aber die Wellen haben zugenommen und ich bin immer noch etwas zu ängstlich, um mich weit vorzuwagen. Dabei würde ich am liebsten einmal um die ganze Insel schwimmen! Aber es ist trotzdem ein schönes Gefühl, einen neuen Bereich erobert zu haben, auch gibt es viele tolle Fische zu sehen. Abends machen wir Folienkartoffeln auf dem Lagerfeuer, dazu Knoblauch-Algen-Butter mit etwas Zitronensaft und Olivenöl.

 

 


5.7.

Bin heute einfach nicht fit, Kreislaufprobleme, schlapp, kein Fleisch mehr da, neige zu Unterzuckerung. Erkunden Seeschwalbengebiet, gehen dort auch nochmal ganz kurz schwimmen, aber starke Wellen und recht kühl. Versuchen vergebens, Seeschwalben zu fangen an mehreren Stellen. Aber dafür entdecken wir das erste Küken! Dann schaffen es also doch noch ein paar… Morgen kommt Patrick! Es ist fast zu schön um wahr zu sein. Es ist fast wie eine Furcht da, wie vor etwas, das unter jeden Umständen eintreffen muss und das man am liebsten vermeiden würde, da man es nicht ertragen könnte, wenn was schief gehen würde. Beine frisch rasiert, das sehr pieksige Gras reizt die Haut dort extrem.


6.7.

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Steffis Essen
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Mein Essen

Und dann ist er da der große Tag. Und es regnet, und wieder hängt eine dicke Wolkenglocke über Graciosa. Luís und Joana holen uns ab mit dem Boot und fahren uns später zu Pedro und Xia, dem Nationalparkdirektor und seiner Frau, der Psychologin. Wir gehen mit ihnen essen in Santa Cruz, Karotten-Zucchinisuppe, dazu eine Fleischsuppe (mit frag nicht was für allen möglichen Teilen vom Tier drin), aber auch weißen Bohnen und ich probiere etwas von Steffis Fisch. Es ist ja echt so schon schwer, mit Nahrungsmittelintoleranzen auswärts zu essen, vor allem, ohne negativ aufzufallen mit Extrawünschen, aber wenn man sich dann auch noch alles übersetzen lassen muss… Ich merke kopfmäßig, dass ich irgendwas nicht richtig vertragen habe, vielleicht die Bohnenlektine oder der Fisch war nicht ganz frisch, auf jeden Fall lenkt mich der Lärm von einer Gruppe am anderen Tisch extrem ab, und ich bin ziemlich überfordert damit, den Gesprächen am eigenen Tisch zu folgen und dann auch ziemlich erschöpft. Wir können bei den beiden daheim bleiben, sie müssen zurück zur Arbeit, aber ihre Kinder sind daheim. Endlich wieder Internet!

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Schimmelbefall wegen Schaden im Dach

Aber dann sehe ich es in der Küche: Dicker, schwarzer Schimmel. Sie wohnen direkt am Wasser und haben wohl auch einen Schaden im Dach. Echt krass, wenn sich die Sporen dann auch noch ausgerechnet über die Essenssachen, Geschirr, Gewürze, Tee… verteilen, sodass sie direkt in den Körper gelangen… Irgendwie bleibe ich aber ganz ruhig diesmal. Vielleicht bin ich nervlich so schon durch genug. Ich bin total nervös… Patrick ist immerhin schonmal auf Terceira gelandet, so weit so gut. Allerdings wurde ihm das Kokosöl abgenommen… Ich könnte grad heulen, aber dann versuche ich, es einfach loszulassen und mich nur auf das Wesentliche, auf die Zeit mit meinem Mann zu freuen und darauf zu vertrauen, dass ich trotzdem gut versorgt sein werde.

 

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Skype

DSC_9469Später werden wir von Pedro einkaufen gefahren, zur netten Biogärtnerin, die mir sogar noch einen tollen Strauß verschiedener Kräuter pflückt und dann in den großen Supermarkt. So haben wir alles wunderschön vorbereitet, lauter gute Sachen besorgt. Doch dann am Flughafen erfahren wir: Flug gecancelt. Der Nebel macht ein Landen unmöglich. Ich will weinen. Armer Patrick. Wir haben uns so lange nicht gesehen und ich wollte mich hier nach dem Stress, den er in den letzten Monaten hatte, jetzt einfach mal um ihn kümmern, ich kenne mich hier ja jetzt so gut aus. Und jetzt sitzt er da ganz alleine fest. Pedro instruiert uns noch gut, wie er vorgehen soll, damit er alles erstattet bekommt. Und dann nach Stunden die gute Nachricht: Er ist in einem wunderschönen Hotel untergebracht worden und es ist für alles gesorgt. Er hat sich inzwischen auch in sein Schicksal gefügt und genießt jetzt einfach den Abend mal ganz für sich, ohne Pflichten und Telefonate. Bei Pedro und Xia schaue ich erstmal drei Folgen Simpsons hintereinander und nutze das Internet, versuche wieder in eine positive Stimmung zu kommen und jetzt einfach alles auf mich zukommen zu lassen und darauf zu vertrauen, dass es so gut ist, wie es kommt. Das Abendessen fällt für meinen Blutzuckerspiegel leider ziemlich spät aus, aber dann wird auch ordentlich aufgetischt: Gemüsesuppe, eine Art Chili, Lasagne, Steaks, Reis, Ziegenkäse… Die beiden ertränken einen fast mit ihrer Fürsorglichkeit. Es ist aber auch schön, endlich mal wieder anderen Austausch zu haben. Aber Xia versucht die ganze Zeit mich zu analysieren… Heute Nacht schlafen Steffi und ich bei der Familie, im Zimmer eines der Kinder, das nicht da ist, da das Wetter zu schlecht wäre, um wieder nach Praia zu kommen, außerdem zu umständlich. Zu dumm nur, dass ich meine Ohrenstöpsel und meine Schlafmaske nicht dabei habe… die Nacht wird sehr unangenehm in diesem hellhörigen Haus, außerdem leuchtet hier eine Straßenlaterne direkt ins Zimmer und es ist stickig und warm.


7.7.

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Blick von der Terrasse
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Blick von der Terrasse

Ich erwache früh und bin ziemlich gerädert. Vom Schimmel spüre ich bislang aber nichts, meine Barrieregewebe scheinen hier wirklich sehr intakt zu sein. Gehe auf die Terrasse, das Meer fast direkt unter mir, und meditiere. Ich muss irgendwie diesen Tag überbrücken können. Ich bin total angespannt, mein Kopf arbeitet nicht richtig, habe kaum geschlafen, und dann will auch noch jeder meine Aufmerksamkeit und meine Gesellschaft. Eigentlich freue ich mich ja darüber, wieder anderen Austausch zu haben und es sind echt intelligente und interessante Leute, aber mir fehlt einfach die Kraft… Meine mentale Energie ist erschöpft. Nie wirklich eine Rückzugsmöglichkeit, nie mein eigenes Zimmer und bei jedem bisschen, das man tut, muss man sich mit anderen absprechen… Immerhin kriege ich etwas Fleisch, Reis und Gemüse zum Frühstück, auch wenn der Aufwand, sich wieder zu erklären, fast zu groß ist. Wieso muss ich mir immer anhören, dass ich zu dünn bin und dann wird gleichzeitig Aufhebens darum gemacht, was ich mir unter einem anständigen Frühstück vorstelle? Mit nem dicken Steak würde ich halt am besten funktionieren. Bei Xia und Pedro erkenne ich unangenehme Parallelen zu meinen Eltern, auch wenn es echt super Leute sind. Ich muss jetzt einfach mal alleine los, mir die Beine vertreten, ein ruhiges Plätzchen finden, wo ich den Kopf frei kriege. DSC_9480Ich schlendere durch die kleinen Gässchen von Santa Cruz, lande in einer kleinen Kirche, wo ich endlich Stille finde. Ich bin innerlich sehr aufgewühlt. So extrem viel Zeit mit immer nur einem und demselben Menschen zu verbringen ist einfach nicht ideal, für niemanden. Ich bin nicht dafür geschaffen, dass sich einer so auf mich fixiert. Und dann will ich nur mal zwei Wochen mit meinem Mann verbringen und dann wird uns auch noch einer dieser wertvollen Tage genommen. Ich heule mich aus und schlafe dann auf der Holzbank ein. Als ich wieder aufwache, fühle ich mich deutlich besser und klarer im Kopf. Dann gehe ich nochmal eine Runde schwimmen, denn es ist ein richtig schöner Tag geworden. Danach fühle ich mich wie neugeboren. Ist es nur das erfrischende Wasser und die Ruhe oder kommt es zu einer chemischen oder elektrischen Interaktion im Salzwasser? Ich fühle mich fantastisch, energiegeladen und positiv gestimmt. Vielleicht war es besser, dass Patrick und ich erst nochmal eine Bremse reingedrückt bekommen haben? Vielleicht müssen wir erst noch einmal innehalten und etwas über uns selbst lernen in dieser Situation?

DSC_0636Pedro ist über Mittag zuhause, er macht Omelette mit Kochschinken, dazu Reis und Gemüse, was ich super vertrage, habe allerdings vorher sicherheitshalber drei Aktivkohletabletten genommen. Die Ankunft von Patricks Flug verzögert und verzögert sich. Dann endlich fährt Pedro uns zum Flughafen, mit Herzklopfen verfolge ich die Landung des kleinen Flugzeuges, und dann kommt er… ich bin nervös wie vorm ersten Date, mir kommen die Tränen und gleichzeitig habe ich das breiteste Grinsen im Gesicht. Er ist dahaa! So schön, und er findet die Azoren schön und er hat tolle Essenssachen mitgebracht… Einfach alles toll jetzt. Nicht dass es vorher nicht toll war, aber anders toll. Pedro fährt Patrick, Steffi und mich zum Hafen und mit dem Bootchen zur Insel, seine jüngste Tochter kommt mit. Wir machen einen kurzen Trip einmal um die kleine Insel herum, aber der Wind und die Wellen haben stark zugenommen, wir werden etwas durchnässt. Dann macht Patrick ein Feuerchen und wir braten Gemüse und Kotelett darauf und backen Süßkartoffeln in der Glut, sowie Schafskäse, in Alufolie eingewickelt. Es wird viieel zu spät bis es endlich Essen gibt, aber es schmeckt fantastisch, aber wir sind alle so zu Tode erschöpft, dass es danach schnell ins Bett geht. Endlich wieder eine gute Nacht hier.

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